Während die meisten Arbeitnehmer ein monatlich oder jährlich festes Gehalt erhalten, beinhaltet die Vergütung von Führungskräften in der Regel zusätzlich einen variablen Anteil. Variable Vergütungsbestandteile werden üblicherweise auf zwei Arten festgelegt: Entweder durch Zielvereinbarungen, die einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgeschlossen werden, oder durch Zielvorgaben, bei denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Zahlung verspricht, falls dieser die einseitig vom Arbeitgeber festgelegten Vorgaben erfüllt.
Unterschied Zielvereinbarung und Zielvorgaben
Der wesentliche Unterschied zwischen Zielvereinbarung und Zielvorgabe besteht darin, dass bei der Zielvorgabe der Arbeitgeber die Ziele vorgibt und ihm dafür ein einseitiges Bestimmungsrecht im Sinne des § 315 S. 1 BGB eingeräumt wird. Der variable Vergütungsanteil wird in der Regel nur dann ausgezahlt, wenn die im Rahmen einer Zielvereinbarung oder einer Zielvorgabe vorab zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber festgelegten Ziele innerhalb eines Jahres erreicht wurden. Näheres zur Ausgestaltung und Verhandlung von Zielvereinbarungen sowie zu potenziellen Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers für den Fall, dass keine neue jährliche Zielvereinbarung zustande kommt, finden Sie in einem unserer älteren Artikel. Obwohl das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Rechtsprechung bereits häufig Zielvereinbarungen thematisiert hat, sind im Bezug auf Zielvorgaben noch nicht alle Fragen geklärt worden. Kürzlich lieferte das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln neue Antworten auf die Frage, ob für den Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch besteht, falls der Arbeitgeber die Zielvorgabe für eine grundsätzlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarte und geschuldete variable Vergütung für ein Jahr verspätet mitteilt.
Die Details des Falls
Ein Arbeitnehmer, beschäftigt als Head of Advertising, reichte Klage gegen seinen Arbeitgeber ein, weil ihm die Zielvorgabe für das Jahr 2019 verspätet mitgeteilt wurde. Gemäß Arbeitsvertrag hätte die Mitteilung der Ziele zu Beginn des Jahres erfolgen müssen, eine zusätzliche Betriebsvereinbarung spezifizierte diesen Termin auf den 1. März. Obwohl im Laufe des Jahres 2019 die Unternehmensziele mehrmals in Meetings diskutiert wurden, erfolgte eine explizite Zuweisung der Ziele an den betreffenden Arbeitnehmer sowie deren Gewichtung erst im letzten Quartal. Der Arbeitnehmer verließ das Unternehmen zum 30. November 2019. Daraufhin forderte er Schadensersatz in Höhe der ihm entgangenen variablen Vergütung für das Jahr 2019. Dies begründete er damit, dass die Zielvorgaben verspätet und formell unwirksam mitgeteilt worden seien und eine effektive Erfüllung der Unternehmensziele bis zum Ende des Zielerreichungszeitraums nicht möglich gewesen sei.
Die rechtliche Würdigung
Das Arbeitsgericht wies die Klage zunächst unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BAG zurück. Demnach hatte der Arbeitgeber seine Pflicht erst verletzt, wenn er die Unternehmensziele nach Ablauf des Bemessungsjahres mitteilte, da erst mit dem Ende des Bemessungsjahres Unmöglichkeit eingetreten sei.
Der Kläger legte jedoch Berufung beim LAG Köln ein und erzielte dort einen Erfolg. Das Gericht stellte fest, dass die umstrittene Zielvorgabe eine einseitige Mitteilung des Arbeitgebers darstellt, für die ausschließlich dieser verantwortlich ist. Zudem klärte das Gericht weitere Formalien, die eine solche Zielvorgabe erfüllen muss. Eine mündliche Mitteilung, etwa durch Kommunikation in Meetings, ist demnach nicht ausreichend.
Ebenso ungenügend ist eine E-Mail, die zwar unter dem Begriff der Zielvorgabe versendet wird, jedoch den Führungskräften keine individuellen Ziele benennt. Eine Zielvorgabe ist folglich nur dann ordnungsgemäß, wenn dem Arbeitnehmer ein Zielkorridor vorgegeben wird und die Ziele eindeutig gewichtet werden. Dem Arbeitnehmer kann nicht zugemutet werden, dass er die Gewichtung aus den Zielvorgaben der Vorjahre oder aus sonstigen Informationen ableiten könnte.
Es war weiterhin fraglich, wie der Umstand zu bewerten ist, dass der Arbeitgeber die Zielvorgabe ordnungsgemäß erst im Oktober 2019 kommunizierte. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits drei Viertel des Zielerreichungszeitraums verstrichen, sodass der Kläger bezweifelte, ob er die ihm vorgegebenen Jahresziele noch effektiv verfolgen könne. Hintergrund seiner Annahme war der vom BAG entwickelte Grundsatz, der besagt, dass eine variable Vergütung, die von der Erreichung jährlich neu festgelegter Ziele abhängt, darauf abzielt, die Leistung zu steigern und zu motivieren. Tatsächlich bestätigte das LAG Köln, dass eine derart spät mitgeteilte Zielvorgabe ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann. In solchen Fällen sollen verspätete Zielvorgaben behandelt werden, als seien sie nicht erfolgt. Das Gericht wies auch das Argument der Beklagten zurück, dass es sich lediglich um Unternehmensziele handele, auf deren Erfüllung der einzelne Arbeitnehmer wenig Einfluss habe. Es betonte vielmehr, dass gerade Mitarbeiter in Führungspositionen einen gewissen Einfluss auf die Unternehmenskennzahlen nehmen können.
Schließlich sprach das Gericht dem Kläger einen Schadensersatzanspruch in Höhe der nicht ausgezahlten variablen Vergütung für 2019 zu, da der Arbeitgeber für die verspätete Mitteilung der Zielvorgabe verantwortlich war und diese zwar noch innerhalb des Bemessungszeitraums, aber zu spät erfolgte, um ihre Anreizfunktion gegenüber dem Arbeitnehmer zu entfalten.
Ausblick für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Das LAG Köln hat mit seiner Entscheidung einen wesentlichen Bereich bei der zeitlichen Festlegung von Zielvorgaben für eine variable Vergütung konkretisiert. Es ist wichtig zu erwähnen, dass diese Entscheidung vorläufig ist, da die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen wurde.
Trotzdem ist Arbeitgebern zu empfehlen, zukünftig auf eine rechtzeitige und ordnungsgemäße Mitteilung der Zielvorgaben zu achten. Die Rechtzeitigkeit wird dabei individuell danach bemessen, bis zu welchem Zeitpunkt die Zielvorgabe noch den Anreiz für den Arbeitnehmer bieten kann, die vorgegebenen Ziele innerhalb des Geschäftsjahres zu erreichen.
Die Gerichtsentscheidung unterstreicht das Recht der Arbeitnehmer auf eine frühzeitige und klare Kommunikation ihrer Leistungsziele. Arbeitnehmern wird darüber hinaus empfohlen, aktiv auf die Einhaltung ihrer Rechte zu achten und bei einer Verletzung gegebenenfalls rechtliche Schritte zu erwägen.
Bei Fragen rund um das Thema Zielvereinbarung und Zielvorgabe stehen Ihnen die Rechtsanwälte Wagner + Gräf jederzeit gerne zur Verfügung.
Ein Beitrag von Antonia Obert, juristische Mitarbeiterin unserer Kanzlei, und Dieter Gräf, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht.